Die »Tiger« ließ sich schwer fliegen. Nur eine kategorisch gebieterische Persönlichkeit wie
Gerhard Fieseler war im Stande, einen solchen Typ zu meistern und zu beherrschen. Bevor er die
Maschine ins Museum gab, holte er sich auf ihr die Kunstflug-Weltmeisterschaft!
Ein großer Teil der Sportflugzeuge aus den 1920er Jahren war festigkeitsmäßig so ausgelegt, dass sie zweisitzig für die Kunstflugschulung zugelassen werden konnten. Mit nur einer Person – dem Piloten – belastet, hielten sie jedoch auch die waghalsigsten Schauflugfiguren aus, die seinerzeit die Attraktion für Zehntausende von Zuschauern auf den zahlreichen Flugveranstaltungen an den Wochenenden darstellten.
Im Verlauf des Ersten Weltkriegs waren es besonders die Jagdflieger gewesen, die sich ein hervorragendes fliegerisches Können aneigneten, um ihre Flugzeuge in allen erdenklichen Fluglagen sicher und möglichst überlegen zu beherrschen. Und hauptsächlich sie entwickelten sich nach dem Krieg zu den Koryphäen, die dem staunenden Publikum ihre fliegerischen Kunststücke vorführten – in Deutschland allen voran Ernst Udet. Sein Name übte eine geradezu magische Anziehungskraft aus, hob er doch zudem als erfolgreichster überlebender Kriegsheld das aus damaliger Sicht so geschundene nationale Ansehen.
Das Finale dieses freien Schaukunstflugs wurde eingeleitet, als der damals noch gänzlich unbekannte Endzwanziger Gerhard Fieseler (1896 – 1987) eine siebenjährige Flugpause beendete. Der ungebändigte, unduldsame Jäger hatte an der mazedonischen Front 19 Gegner zur Strecke gebracht, was ihm den respektvoll distanzierenden Namen »Tiger« bescherte. Anschließend kümmerte er sich ausschließlich um die elterliche Druckerei, der eine eigene folgte.
Ende 1925 jedoch packte ihn wieder das Flugfieber, und er kaufte sich mit einem kleinen Anteil bei den Kasseler Flugzeugbauern Raab und Katzenstein ein. Dort fungierte er zunächst als Einkaufschef, bevor er sich als Fluglehrer und Organisator von Flugtagen betätigte. 1927 wurde im Rahmen der Essener Pfingstflugtage ein Kunstflug-Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem erstmals innerhalb einer festgelegten Zeit zuerst ein Pflicht- und dann ein Kürprogramm zu absolvieren war. Dieser Vorgriff auf die spätere Standardformel versprach Chancen.
Fieseler meldete sich als achter Bewerber mit einer serienmäßigen Raab-Katzenstein Schwalbe, konnte allerdings wegen verspäteten Eintreffens nur außer Konkurrenz starten. Wenn die damals als Jurymitglieder fungierenden alten Kriegsflieger auch noch keine Punkte für Schwierigkeit und Ausführung vergaben, sondern ausschließlich nach der persönlichen Meinung urteilten, so erkannten sie doch in Fieselers Programm die vielen neuen, theoretisch erarbeitete Flugfiguren. Sie erklärten ihn, den Neuling, vor Udet zum Sieger – seinerzeit eine Sensation.
Fieseler hatte bewusst kalkuliert, dass er in der Kunstflugszene nur mit neuen Flugfiguren, die noch niemand geflogen hatte, Erfolg haben würde. Um auch bei internationalen Veranstaltungen bestehen zu können, setzte er auf den Rückenflug mit seinen vielen Kombinationsmöglichkeiten, einschließlich des Loopings nach vorn. Die Schwierigkeit dabei: Es gab noch keine Triebwerke, die in Rückenfluglage einwandfrei arbeiteten, denn für alle Standmotoren wurden ausnahmslos übliche Schwimmer-Vergaser verwendet. Und eine zweite Ölrücklaufpumpe für die Rückenlage gab es standardmäßig auch noch nicht.
Trotzdem nutzte Fieseler seine Gesellschaftsanteile an der Raab-Katzenstein GmbH zum Erwerb einer Schwalbe-Zelle, die er nach seinen intuitiven Vorstellungen verstärken und mit einem Neunzylinder-Sternmotor Siemens Sh 12 mit 125 PS (92 kW) aufrüsten ließ. Für dieses Triebwerk hatte ihm Herr Sum von der gleichnamigen kleinen Berliner Vergaserfabrik einen Versuchs-Spritzvergaser geschenkt, der zwar von der Bauweise her einwandfreies Arbeiten in allen Fluglagen versprach, aber noch nie funktioniert hatte.
Als im Juni 1927 die neue Schwalbe (Kl 1c, D-1212) auf den Platz kam, war sie mit einem von Fieseler selbst entworfenen Rückenflugtank in Kugelform ausgerüstet, der mit einer Luftdruckpumpe, einem Reduzierventil sowie mit Manometer und Standglas versehen war. Der normale Vergaser wurde durch das neue Spritzgerät ersetzt. In einer langen, durch das Hand-Anwerfen am Propeller mühevollen, Versuchsreihe mussten nun Tankdruck und Düsenbohrungen des Spritzvergasers aufeinander abgestimmt werden. Nach vielen Tagen frustrierender Fehlschläge lief der Motor endlich, letztlich auch mit Vollgas. Bei Versuchsflügen zeigte sich, dass er in jeder Lage einwandfrei arbeitete. Der Drucktank wurde später behördlich verboten. Damals jedoch war er eine Pionierleistung der Improvisation, die der Luftakrobatik den Rückenflug erschloss – und Fieseler einen entscheidenden Vorsprung einbrachte.
Als Fieseler auf dem Internationalen Flugmeeting 1927 in Zürich gegen seine ausländischen Konkurrenten antrat, flog er in Rückenlage Kurven, Kreise und Achten wie kein anderer, einschließlich des Loopings nach vorn – ein den Piloten mit …