Das ist die pure Nostalgie. Als die Ankündigungen der Firma Aumann-RC über den Middle Stick und die Kwik Fly in der Fachpresse zu lesen waren, erinnerte ich mich sofort an den vor ca. 50 Jahren endlos studierten Graupner-Katalog. Ab Seite 50 wurden diese Modelle als die absoluten Highlights der Produktpalette präsentiert. Damals waren sie »state of the art«, wie man heute neudeutsch sagt, sie waren einfach das Beste, was angeboten wurde. Zugegebener Maßen war die Angebotspalette aber auch viel überschaubarer als heute. Trotzdem, wer eines dieser Modelle sein Eigen nennen konnte, der war einer der Stars auf den Modellflugplätzen. Die Kwik Fly war den absoluten Experten im Verein vorbehalten, schließlich wurde sie vom ehemaligen Weltmeister in der damaligen Klasse RC-1, Phil Kraft konstruiert. Der Middle Stick stand dem aber kaum nach; die Konstruktion stammte ebenso von Phil Kraft.
Die Neuauflage des Klassikers von Aumann-RC
Mit der Aufnahme dieser Modelle war Graupner damals ein richtiger Coup gelungen. Viele andere Firmen versuchten mit ähnlichen Modellen auf der gleichen Welle zu schwimmen, kamen aber mit ihren Maschinen an die Beliebtheitswerte von Middle Stick und Kwik Fly nicht ansatzweise heran. Und das lag besonders beim Middle Stick mit seinen 1,4 Metern Spannweite an seinen universellen Einsatzmöglichkeiten. Fun-Flyer, 3-Achs-Trainer, Kunstflugmodell, Schlepper für die damals üblichen Segler (Drei Meter Spannweite war da schon ein richtiges Großmodell), fliegender Motorteststand, etc. In jeder Disziplin war der Middle Stick bestens eingesetzt. Die dem Bausatz beiliegenden Stanzteile waren recht gut zusammenzufügen, schnell entstand ein Rohbaumodell zur weiteren Ausrüstung. Und wer einen originalen Bausatz von Graupner hatte, der war sofort »everybody’s darling«. Die Vereinsmitglieder standen Schlange, um den Plan mal auszuleihen und das Modell nachzubauen. Ein paar Mark konnte man dabei schon einsparen. Den Plan im Netz zu finden und schnell mal ausdrucken gab’s zu der
Zeit noch nicht. Und ARC, ARF und RTF auch nicht. Selber bauen war angesagt. Und das machte durchaus Spaß, denn man hatte einfach viel mehr Zeit dazu. Das war sicher auch ein Grund, warum gerade vom Middle Stick so viele unterschiedliche Varianten entstanden. Micro Stick, Mini Stick, Maxi Stick, Ugly Stick, Big Stick, The-Von-Stick, etc. – ihre Form war immer gleich, und meistens waren die Modelle in rote Folie gehüllt. Sie unterschieden sich im Wesentlichen in der Größe. Nur der Quick Stick war durch die deutliche Verschlankung des sonst eher dicken vollsymmetrischen Profils ein Flop. Durch die Veränderung des Profils verlor das Modell alle seine geschätzten guten Eigenschaften. Das Top-Modell war und blieb trotz aller Varianten aber immer der originale Middle Stick.
Und da Retro zur Zeit im absoluten Trend liegt, ist es natürlich auch klar, dass es genau dieser Middle Stick ist, den die Firma Aumann-RC auf der Basis der Originalpläne wieder aufgelegt hat. Und wen wundert’s, die Nachfrage ist riesig, es gibt sogar Wartezeiten bei der Bestellung. »Den müssen wir auch haben …«, also war die Bestellung schnell im Shop von Aumann-RC angeklickt. Hier schon der erste Unterschied zu damals. Vor 50 Jahren schlich man als Jugendlicher mit klammer Portokasse erst einmal wochenlang am Schaufenster des örtlichen Modellbaugeschäfts entlang und bestaunte den ausgestellten Baukasten. Irgendwann war genug vom Taschengeld zusammengespart und man schaute sich mehrfach den Baukasteninhalt beim Händler an; schließlich nahm man die Neuerwerbung mit nach Hause. Ein Gefühl besser als Weihnachten. Und fast so ein Gefühl stellte sich auch jetzt wieder ein, als der neue Middle Stick vom Postboten gebracht wurde. Reine Vorfreude auf das Bauen und Fliegen mit diesem Modell basierend auf aufkommenden Erinnerungen an »gute alte Zeiten«. Aumann-RC bietet seinen Middle Stick als lasergeschnittene Bausatzvariante an; in der Basisversion ohne Motorattrappe für momentan 99 Euro oder mit einer 3D-gedruckten, täuschend echt aussehenden OS Wankelmotor-Attrappe inklusive Dämpfer und Vergaser mit Düsennadel für momentan 139 Euro. Allein dieses Teil ist ein echter Hingucker.
Retro – aber voll im Trend!
Der Bausatz enthält alle zum Bau benötigten Holzteile, Rumpfteile, Rippen, Spanten, unterschiedliche Kiefer- und Balsaleisten und sämtliches Beplankungsmaterial aus Balsa. Die Teile sind durchnummeriert und somit im Plan gut zuzuordnen. Ein 1 : 1 Originalplan liegt bei, ebenso eine Originalbaubeschreibung inklusive der damals wie heute so beliebten Explosionszeichnungen. Sie geben eine perfekte Übersicht ober die Positionierungen der einzelnen Teile nach dem Motto: »so soll es sich zusammenfügen«. Auch der beiliegende Hardwarepack ist komplett. Schiebebilder und Schriftzüge wie beim Original, ein Dreibein-Fahrwerk mit lenkbarem Bugrad, deren Befestigungs- und Aufnahmehölzer, Bowdenzüge für die Seiten- und Höhenruderanlenkung sowie die
Befestigungsschrauben für die Tragfläche. Und wer ein echter Retro-Purist ist, der nutzt die beiliegenden Buchendübel im Rumpf, um die Fläche später mittels Muttis alten Einweggummis aufzusatteln. Und da schnitten die Profis noch die Zuglaschen ab; das sah cooler aus. Aber so viel Retro muss dann doch nicht sein, sowieso ist die Verschraubung auf dem Rumpf sicherer und eleganter. Und schließlich gab es das bei der Originalversion irgendwann auch einmal. Das war dann der wahre Luxus, denn solche Kunststoffschrauben gab es nicht an jeder Ecke zu kaufen. Baumärkte gab es nicht und ein Internet schon gar nicht. So wurden vorhandene Schrauben genutzt, bis das Gewinde kaum mehr fühlbar war.
Optional kann zum heutigen Bausatz noch ein dem Original nachempfundener Karo-Dekorsatz und weitere Schriftzüge hinzubestellt werden; eigentlich ein Muss! Ein weiterer Unterschied zum damaligen Bausatz sticht bei der ersten Augenscheinnahme der Bauteile ins Auge. Beim Aumann-RC Middle Stick gibt es keine grob ausgestanzten Bauteile, sondern der Laser wurde zum Austrennen eingesetzt. Die Teile passen so supergenau ineinander. Nur an wenigen Stellen musste beim Herausdrücken der Teile aus dem Träger das Balsamesser unterstützen, bedingt durch geringe Unterschiede in den Materialdicken im Holz. Das ist aber kein Problem.
Man freut sich auf das Bauen. Es muss aber auch festgestellt werden, dass es sehr schnell voran geht und das Rohbaumodell aufgrund der Passgenauigkeit der Einzelteile an einem Tag fertiggestellt werden könnte. Wenn man will, und auch nur unter Zuhilfenahme von Sekundenkleber. Aber wer will das schon; hier kommt klassisch Ponal zum Einsatz mit den dazugehörigen Trocknungszeiten, vorzugsweise über Nacht. Und am nächsten Morgen freut man sich schon auf die nächste Baugruppe und wie der Rohbau langsam wächst.